Der Körper als Tempel der Seele
In unserer christlichen Kultur wurde der Körper jahrtausendelang nicht als Tempel der Seele gesehen, sondern als ihr Feind. Zumindest dann, wenn es um hohe spirituelle Ziele ging, um die Einheit mit Gott. Verzicht auf Sexualität wurde als notwendig gesehen, um dem Geistigen nahe zu sein. „Fleisch“ und „Geist“ wurden als einander feindliche Pole deklariert. Die Neurose = Spaltung des Menschen ist bis heute zu spüren – obwohl das an der Oberfläche nicht so aussieht. Die Medien vermitteln ein Bild von der Liberalisierung im Sexuellen, das der Realität des Normalmenschen nicht entspricht. Noch immer hat Wilhelm Reich meistens recht, wenn er schrieb, dass am Boden einer jeden Neurose der Sexualstau liegt.
In unserer heutigen Zeit, die immer mehr vom Kommerz bestimmt ist, wird Sexualität zur Ware, die den Marktwert anderer Waren steigert. Auch damit entfernt sie sich wieder von seelischen Belangen. Eine Attraktivität, deren Norm von Klischees bestimmt wird, wird zur Allgemeingültigkeit erhoben. Ob-wohl jeder, der sexuelle Erfahrungen sammelt, sehr wohl weiß, dass der „schönste“ Partner keines-wegs immer der beste Liebhaber ist, werden die Klischees fröhlich gepflegt und verhelfen Fitness –Studios und Schönheitschirurgen zu höheren Umsätzen. Hier haben wir es mit einer Überbetonung des Körperlichen zuungunsten des Seelischen zu tun. Vielleicht ein historisch gesehen logisches Pendel, das nach der anderen Seite ausschlägt, als Antwort auf die religiös verursachte Unterdrü-ckung des Körpers? Gut möglich.
Auf der Strecke bleibt der Mensch, dessen Sehnsucht und Bedürfnis es ist, sich mit allen seinen na-turgegebenen Anteilen und Ebenen des Daseins zufrieden und eins zu fühlen. Eingezwängt zwischen den beschriebenen Widersprüchen bewegen sich Männer und Frauen auf der Suche nach sich selbst als Wesen, die essentiell seelisch sind und einen Körper haben. Geboren mit beiden Anteilen, hat der Mensch
ein Recht darauf, beide zu lieben als Geschenke der Existenz. Der Bedarf besteht, das beweisen die seit zwanzig Jahren gut besuchten Tantra – Gruppen.
(Tantra – interne Diskussionen und die Polarisierung zwischen Tanderadei und der Nähe zum Rotlicht – Milieu lasse ich hier einmal außer Acht. )
Das Tao –Yoga und das Tantra bieten dem Sucher ein Weltbild, das die Integration der seelischen und körperlichen Aspekte des Menschseins ermöglicht.
Der Ausdruck vom Körper als „Tempel der Seele“ kommt aus dem tantrischen Bereich. Die tantrische Philosophie deklarierte schon in alter Zeit, daß der Körper ein Vehikel der Ekstase sei und Ektase ein Weg zu meditativen Zuständen. Jeder, der gerade eine guten Orgasmus erlebt hat, kann das überprufen. Der Kopf ist auf angenehme Weise leer, das heißt zumindest für kurze Zeit frei vom gedanklichen, inneren Geschwätz.
Der Körper wird als „Shakti“ – Anteil des Lebendigen gesehen und als Teil der Wahheit, Geist und Bewußtsein als „Shiva“ – Anteile. Zusammen, vereint, erzeugen und gebären sie die Existenz. Die Schönheit einer Rose ist nicht „unwahr“, weil sie vergänglich ist.
Die Vergänglichkeit macht ihre Schönheit besonders kostbar!
Andere, vedantische Philosophen sagten, dass der Körper, weil vergänglich, nicht der Wahrheit an-gehören könne, da diese unsterblich sei, so wie die Seele, die zu Brahma, dem Schöpfergott, zurück-kehrt nach dem Ableben des Leibes. Alles, was vergänglich ist, könne nicht Teil der absoluten, unteil-baren, ewigen Wahrheit sein, die nur jenseits des Körpers und durch dessen Abtötung zu erfahren sei. Nicht nur das Christentum lehnt den Körper als „Täuschung des Geistes“ ab, sondern strenge Asketen aller Kulturen und Glaubensrichtungen.
Innerhalb eines lebenszugewandten, menschenfreundlichen Wertesystems wie dem Tantra oder dem Tao – Yoga gibt es keinen Widerspruch zwischen Körper und Seele, ihre Wahrheiten und Erfahrungen unterstützen einander. Selbst die wörtliche Unterscheidung von „Körper“ und „Seele“ und unterstützt ein dualistisches Weltbild.
Wenn wir zum Beispiel sagen: unsere Körperseele will uns etwas mitteilen, dann entwickelt sich schon beim Lesen diese Wortes ein anderes Gefühl.
Oft schießen mir im Gruppenraum die Tränen in die Augen, wenn es um die qualvollen Folgen einer körperverachtenden Erziehung geht und deren mühsame Aufdeckung und Heilung. Manchmal scheint „der Körper“ mich anzusehen mit traurigen Augen durch den Tunnel der Zeit und er sagt:“Ich bin doch Natur, unschuldig geboren, Ausdruck des Lebens und der Lust, Kind der Liebe, warum darf ich nicht sein wie ich bin? Ich von Gott geschaffen, warum werde ich nicht als seine Offenbarung gesehen?“
Die Kultivierung der Natur ist Anliegen einer lebensfreundlichen spirituellen Praxis,
nicht eine Ambivalenz zwischen beiden.
Was sind die immanent körperlichen Aspekte, die einen Menschen mit seinen seelischen Anteilen vereinen?
Da ist einmal der energetische Aspekt, der mit dem Orgasmusrefelx, der Bio – Energie oder der Erweckung der Kundalini zu tun hat.
Außerdem natürlich der sinnliche Aspekt, die Wahrnehmung des eigenen Körpers und der Umwelt durch die fünf Sinne.
Der natürliche Energiefluss besteht in einer Einheit von Atmung, Bewegung und Stimme. Jedes Kleinkind bringt diese Einheit mit auf die Welt. Es kennt noch keine Unterscheidung, alles ist eins, Körper und Seele, Nahrung und Liebe, Mutter und Liebe und Nahrung. Auch die Ausscheidungen ge-hören dazu, sind noch nicht mit Ekel besetzt. Die ersten, infantilen, vergnüglichen, spielerischen Be-rührungen der eigenen Genitalien sind voller Unschuld, wenn sie nicht gestört werden. Würde man das Kind in dieser Einheit lassen, wäre sogar die Erfindung der Bio-Energetik überflüssig gewesen und der Teenager könnte dann ein tantrisches Training beginnen, das ihn oder sie auf phantastische Wei-se zum Menschen macht, der tief durch den Körper lieben kann, mit seinem Herzen und seiner Seele sowieso – weil eine solche Trennung nicht stattgefunden hätte.
In der Realität sieht das leider anders aus: mit dem Heranwachsen beginnt die Unterdrückung des Sexualtriebs und schon beim Toilettentraining wird der Ekel vor den eigenen Ausscheidungen einge-baut. Die Konditionierung setzt ein, Schritt für Schritt,
und dabei heraus kommt ein Mensch, der vor lauter Anpassungszwängen nicht mehr weiß, wer er selber ist: ein sexuelles Wesen, zutiefst beseelt, eine Schöpfung, die mehr Bewußtsein hat als andere Kreaturen.
Romantische und sexuelle Aspekte der Liebe werden getrennt erfahren, Herz und Unterleib regen und erregen sich nicht unbedingt zeitgleich, werden manchmal sogar auf verschiedene Personen übertra-gen.
An anderer Stelle habe ich ausführlich diverse Techniken und Therapien beschrieben, die helfen kön-nen, diesen ursprünglichen Energiefluss wieder herzustellen.
An erster Stelle steht die Fähigkeit, tief zu atmen und dadurch die Lebendigkeit des eigenen Körpers zu erfahren . Wenn keine bewusste oder unbewusste Bremse in Kraft tritt, dann kommen die Gefühle aus der Tiefe des Körpers von alleine ins Bewußtsein: sexuelle Impulse wachsen im gut durchbluteten Unterleib, steigen auf ins Herz und erfüllen es mit Liebe, wenn der Mensch die physischen Augen schließt und das
sich das dritte Auge öffnet, steigt ein und dieselbe Lebensenergie bis dorthin auf und gibt den inneren Blick frei jenseits der Sinne – in die Seele. Der Zustand der Meditation wird erreicht, Ruhe tritt ein, das Bewußtsein ruht in sich selbst,
Inspiration und Intuition erfüllen den Menschen und er kann sie im Alltag dann wieder kreativ einset-zen; damit seine materielle Welt verwandeln mit seiner Erbschaft des Schöpferischen, das zunächst immer aus dem Unsichtbaren kommt, aus seinem Potential.
Ein entspannter, sexuell freier Körper kann mit relativer Leichtigkeit sich selbst vergessen und die Wahrnehmung in andere Regionen schicken – so paradox das den Verteidigern eines geistigen Pu-rismus erscheinen mag. Wahre, tiefe Lustempfindungen transzendieren das Körperliche ganz von al-lein – die Leichtigkeit des Seins übernimmt, zumindest für eine Weile. Sind wir doch alle entstanden durch die Verschmelzung zweier Zellen, durch Vereinigung, durch Lust. Nicht durch Hängenbleiben in der Zweiheit. Bleibt jede Zelle für sich, wird nichts geschaffen. Diese Tatsache ist so wegweisend, wie sollen dann Seele und Körper, als getrennt definiert, schöpferisch werden, auf egal welcher Ebene?
Die Wissenschaft des Yoga im indischen Kulturbereich definiert Nadis, das heißt,
Energielinien im Körper, die feinstofflicher Natur sind und durch Pranayama, yogische Atemtechniken, gestärkt werden. Der feinstoffliche Körper, genau beschrieben und in der Lehre von den Chakren oder Energiezentren als innere Landkarte nachzulesen in der Überlieferung, gibt uns eine subtileren Begriff von Körper und Seele.
Der Praktizierende kann reell die Stimmigkeit dieser Angaben überprüfen – sonst wäre das Yoga kei-ne Wissenschaft.
In der chinesischen Medizin wird die Lebenskraft CHI genannt, die Energielinien Meridiane und deren Imbalance Krankheit, deren Ausgewogenheit Gesundheit.
Es heißt nicht: hier ist der Körper und da die Seele, das heißt, zwei streng getrennte
Begriffe, sondern die verschiedenen Ebenen des menschlichen Daseins bestehen aus allmählichen, subtilen Übergängen vom Materiellen zum Immateriellen, vom Körperlichen zum Seelischen. Die Ein-zelheiten dieser Lehre beschreibe ich hier nicht, darüber gibt es genug Literatur. Nur – ein Grundge-danke darf bei aller Unterscheidung der Ebenen nicht vergessen werden: Es ist eine Energie, die Le-bensenergie, die sich durch alle Bereiche bewegt .
Anima heißt die Seele, sie ist das Lebendige im Körper. Erst im physischen Tod trennen sich Körper und Seele. Im irdischen Leben bilden sie eine Einheit – sonst wäre es nicht das Leben.
Weiß man doch auch in der modernen Wissenschaft von äußerst subtilen Vorgängen zwischen Körper und Seele, in der Psychosomatik zum Beispiel. Im Stoffwechsel, in der Erforschung der Gene, in den Zellen, finden so feine Mikroprozesse statt, dass man kaum sagen kann: hier hört der Körper auf, da fängt die Seele an.
Oder ab wann hat ein Embryo eine Seele? Schon immer! Alles Leben ist beseelt.
Für jeden, der die tantrische Lehre liebt und praktiziert, ist die Kunst der Rituale der Höhepunkt der Ein-heit von Körper und Seele. Damit ist einmal das Prinzip durch Vereinigung zur Einheit gemeint, aber auch Einzelrituale wie das Eigenlieberitual führen den Teilnehmer einmal zurück in den Zustand der Unschuld, was seine Existenz als sexuelles Wesen betrifft und in ein präsentes, waches, hochenergetisches Ge-schehen, das ihn erinnert an seine Einheit mit sich selbst, mit dem Gegenüber, der Gemeinschaft und dem göttlichen Ursprung und der naturgegebenen Lust, die er mit seinem heiligen Feuer nährt. Voraus-gesetzt, er kann umsetzen, körperlich und seelisch, was die Weisheit und Praxis des Tantra ihm anbie-tet. Die Lust als heilig zu definieren und nicht als schändliche „Wollust“ beruhigt seine Seele, die sich nicht abspalten muß. Seine Lebenskraft zu verehren und zu kultivieren, führt ihn von alleine zur Fülle des Lebens und damit zur Akzeptanz des Todes. Die Angst vor dem Leben ist dasselbe wie die Angst vor dem Tod. Schuldgefühle spalten die Seele vom Körper ab.
Aus langer therapeutischer Praxis weiß ich, wenn die Seele verdunkelt ist durch Hemmungen und ein-programmierte Schuldgefühle, dann sind die sinnlichen Wahrnehmungen getrübt und regelrecht vermin-dert. Wie könnten zum Beispiel organisch intakte Menschen unfähig sein, einen Orgasmus zu erleben, wären die Ursachen nicht seelisch?
Wenn ein Mensch eins ist mit seiner Seele, dann gewinnen auch die sinnlichen Wahrnehmungen eine besondere Qualität. Klar ist im Auge eine Linse und da ist die Netzhaut und all die anderen Bestandteile, aber wer sieht durch diese Augen? Die Seele schaut durch diese Augen, erkennt den Reichtum der Far-ben, ihre Schönheit und Tiefe.
Die Seele hört durch die Ohren, lässt sich von Musik berühren, hört all die Klänge dieser Welt, das La-chen der Geliebten. Die Seele will tanzen, wenn der Rhythmus lockt zur Bewegung. Die Seele schmeckt alle Nahrung, deren Seele wiederum in ihrem Prana ist, die Seele fühlt durch unser größtes Organ, die Haut, all die subtilen Empfindungen,
wenn uns jemand streichelt, all die wohligen Schauer bei liebevoller Berührung,
Die Seele riecht den Duft der Blumen, die Haare des Geliebten oder sein Lingam.
Der Körper ist unser Erde, wird von ihr genährt, Verehrung ihm, Verehrung, Verehrung
die Seele ist der Himmel, wird von ihm genährt, Verehrung ihr, Verehrung, Verehrung.
In allen Tempeln dieser Welt wird das Göttliche verehrt, das größte Mysterium ist der menschliche Kör-per, der großartigste Tempel, in ihm wohnt die Seele.
Lasst sie eins sein , und mögen alle körperverachtenden Philosophien und Religionen
auf dem Müllplatz der Geschichte landen.
Es gäbe noch viel zu sagen über den Zusammenhang von repressiver Sexualität und
der Unterdrückung der Frau in den Weltreligionen. Da die Frau den Körper der Menschen gebärt, ist sie auch in allen sexuell unterdrückten Kulturen niedrig gestellt.