Die Geschichte des Tantra beginnt vor 5000 Jahren an den Ufern des Indus, in einer matriarchalischen Kultur. Viele alte Kulte waren Fruchtbarkeitskulte; war doch das Überleben des Stammes und die Ernährung abhängig von den Früchten des Feldes und des weiblichen Schoßes.
Die Weltbevölkerung betrug damals ungefähr 300 Millionen Menschen.
Weibliche Gottheiten waren der Ursprung des Tantra. Das Tantra entwickelte sich dann zu einer Unterströmung des Hinduismus, manifestiert vor allem in Khajuraho und Konarak. Indem sich eine Priesterin mit der Göttin identifizierte durch ein Ritual, vereinigte sich der Hohepriester, ebenso durch ein Ritual mit der männlichen Gottheit gleichgesetzt, mit ihr voller gegenseitiger Verehrung. Diese Vereinigung sollte die himmlische Balance herstellen, die nach dem Glauben der damaligen Zeit permanent durch Dämonen (Asuras) gestört wurde.
Diese Vereinigung wurde mit yogischen Künsten vollzogen, im Wissen um die Nadis (Energielinien) und die Chakras(Energiewirbel), und sollte das Aufsteigen der Kundalini stimulieren. Jenseits des physischen Körpers gab es genaue Vorstellungen vom feinstofflichen Körper. Die Kundalini ist wie „Schlange“ aus Energie, die durch die Ausübung spiritueller Praxis aufsteigt durch die an der Wirbelsäule angeordneten Chakras. Das nennt man „Erleuchtung“.
Wenn wir heute nach dem klassischen Tantra Rituale vollziehen, ist das immer noch der Kern: die Identifikation mit der Gottheit, im tantrischen Buddhismus Yidam genannt. Genau das ist uns der christlichen Lehre nach verboten. Da werden wir mit der Erbsünde behaftet geboren, sind niemals unschuldig.
Tantra ist eine spirituelle Praxis, die durch Einbeziehung der Sexualität zur Erleuchtung führen soll.
Tantra hat eine Vielzahl bewusstseinserweiternder Meditationen und Methoden – eine sehr großen „Werkzeugkoffer“. Es empfiehlt sich eine sinnvolle Beschränkung. Keiner kennt ALLE Techniken, weder in alter Zeit noch heute – das ist schlichtweg unmöglich!
Die Bibel des Tantrikers ist das Vygiana Bhairava Tantra, sehr weise, ausführlich und unübertroffen und unmissverständlich von Osho kommentiert. 112 Meditationstechniken, von denen weniger als dreißig Prozent erotisch-sexuell sind.
Dann gibt es das weiße Tantra oder Kundalini-Yoga, in dem keine geschlechtliche Vereinigung stattfindet, sondern eine der Polaritäten. Yogi Bhajan, inzwischen auch verstorben, war der prominenteste Guru dieser Richtung in der Gegenwart. Die Anhänger schneiden sich die Haare nicht, tragen bei der Praxis weiße Kleidung, praktizieren Mudras (yogische Handhaltungen und Gesten).
Das Yoga ist dem Hatha-Yoga verwandt, aber doch recht verschieden. Die Übungen sind sehr dynamisch und anstrengend.
Das sogenannte schwarze Tantra ist auch schwarzmagisch und hauptsächlich der Vermehrung der Macht gewidmet. Mir ist kein zeitgenössischer Guru bekannt. Mit Mudras und Mantras wird auch hier gearbeitet. Die Mantren sind alte Zauberformeln, die angeblich unter anderem auch einen Gegner töten können. Die Aghoris( indische Wanderheilige), die sich schwarz kleiden, sind sehr mysteriös. Ihnen ist das schwarze Tantra sicher bekannt. Sie meditieren auch auf Bergen von Schädeln, nehmen bewusstseinserweiternde Substanzen zu sich, praktizieren sexuelle Vereinigung, kommunizieren aber kaum mit Außenstehenden. So weiß man einfach nicht allzu viel über sie.
Ich gehöre zu den roten Tantrikern. Hier findet rituelle Vereinigung statt, mit Mudras und Mantras ist man auch vertraut. Die Identifikation findet mit den „Devas“ statt, den mitfühlenden Gottheiten. Drei große Vereinigungsrituale habe ich entwickelt, in Identifikation mit den drei Hauptgötterpaaren: Brahma und Saraswati, der Gott der Schöpfung und die Göttin der Kunst und der Gelehrsamkeit; Vishnu und Lakshmi, der Gott der Heilung unf Regeneration und Lakshmi, die Göttin der Harmonie, der Gesundheit und des Wohlstands; Shiva und Kali, der Herr der Zerstörung, des Universums und Kali, die dominanteste Powerfrau unter den Dreien.
Ein durchlässiger, elastischer Körper ist hilfreich für die Praxis, dennoch sind wir “ Bhogis“, nicht Yogis. Ein Bhogi ist so etwas wie ein lustbetonter Yogi. Viele Yogaschulen sind eher asketisch und manchmal auch lustfeindlich orientiert.
Es gibt auch Asketen, die sagen, dass das Aufstiegen der Kundalini mit Sexualität gar nicht möglich sei!
Musik spielt eine große Rolle, auch die Kreation des heiligen Raumes für das jeweilige Ritual, die rituelle Kleidung, die Speisen, die Farben, die Gegenstände.
Im Ritual wird die sexuelle Energie immer kontrolliert, um sie den höheren Chakren, dem höheren Ziel, zuzuführen. Der Mann kontrolliert die Ejakulation, die Frau den Orgasmus. Es werden „Bandhas“ eingesetzt, ein Anspannen der Beckenmuskeln, des Zwerchfells, das Zurückrollen der Zunge, um „den Tiger zu reiten“, das heißt, nicht mit ihm zu gehen oder sich abwerfen zu lassen, im „Feuer des Anfangs“ zu bleiben. Atemtechniken und Mantras unterstützen den Ausübenden dabei, die psychosexuelle Energie immer mehr zu steigern. Wenn alles gelingt, ist die Frucht der Anstrengung ein „kosmisches“ Bewusstsein, das auch nach dem Ritual, Tage, Wochen oder sogar Monate anhalten kann.
Eine solche Praxis ist nur möglich mit sexuell freien Menschen.